Schritt 5: Im Team mehr erreichen

Warum 1+1 auch manchmal 3 ergibt

So leistet eine Gruppe mehr als jeder für sich allein

Das Wichtigste in Kürze:

Deine Fähigkeit zur Teamarbeit ist

  1. der beste Weg, um optimale Ergebnisse bei der Lösung von Problemen zu erzielen und
  2. eine mächtige Schlüsselkompetenz für Deine Schulzeit (und darüber hinaus).

Warum ist das so?

Schauen wir uns zu Beginn dieses Kapitels erst einmal an, was bei Gruppenarbeiten eigentlich genau passiert. Eine Bauanleitung für Teamwork gewissermaßen.  Ich gehe dabei selbstverständlich von einer mehr oder weniger gut organisierten Gruppenarbeit aus. Natürlich weiß ich, dass Gruppenarbeit – insbesondere in der Schule – häufig mehr schlecht als recht organisiert ist. Dann passiert das, was eigentlich kaum jemanden glücklich macht: einer arbeitet, die anderen schlafen! Niemand hat etwas davon, Zeit wird verschwendet, alle sind unzufrieden und Ergebnisse schlecht. Spätestens in der nächsten Klausur zeigt sich: das hätte man sich komplett sparen können! Aber ich erzähle dir da bestimmt nichts Neues, oder?

Aber keine Sorge. Am Ende des Kapitels wirst Du in der Lage sein die nächste Gruppenarbeitet strukturiert und effektiv anzugehen. Gib Dein Wissen auch an andere weiter (Sharing is caring!) so dass ihr euch gemeinsam organisieren könnt. Nicht nur die Ergebnisse eurer Gruppenarbeit werden qualitativ viel besser – nein, ihr werdet auch bestimmte Fertigkeiten und Fähigkeiten (=Kompetenzen) erlernen und üben, die ihr im späteren Leben – privat und im Beruf – immer wieder dringend brauchen werdet. Wie das alles geht, erfährst Du auf den nächsten Seiten.

 

Emergenzeffekt

Doch zunächst wagen wir einen Blick in deine Zukunft. Was genau wird anders sein, nachdem du dieses Kapitel gelesen hast? Zunächst wird der Emergenz-Effekt eine wichtige Rolle spielen.

Was ist eigentlich ...

Emergenz?

Emergenz ist ...

... das Auftreten neuer, nicht voraussagbarer Qualitäten beim Zusammenwirken mehrerer Faktoren

Oder, wie Tobias formuliert: Manchmal ergibt 1+1 auch 3. Nämlich genau dann, wenn beide Teile im Zusammenspiel mehr leisten können, als der Einzelne allein.

aus: https://www.duden.de/rechtschreibung/Emergenz

In dem Moment, in dem Du Dich mit anderen Menschen triffst und über eine Frage oder ein Problem austauschst, werdet ihr zunächst euer Wissen vermehren, da ihr euch ja gegenseitig mitteilt, was ihr wisst. Dies gilt zunächst einmal vor allem in Bezug auf die einfachste aller Aufgabenarten, der Reproduktion. Reproduktive Aufgaben zielen darauf ab, das, was bereits da ist, quasi zu wiederholen oder anders abzubilden (re=wieder und produktion=schaffen). Häufig geht es darum, das, was Du vorher gelernt hast, erneut aufzuschreiben oder zu benennen. Auch die häufige Aufgabenstellung der Zusammenfassung eines Textes fällt in den Bereich der Reproduktion.

Los gehts!

Stadt, Land, Fluss – ‘mal anders

Wahrscheinlich kennst Du die Grundversion des Spieles bereits: 

Zeichne 5 Spalten (Du könntest auch mehr nehmen; es gibt sehr lustige Variationen dieses Spiels) auf ein Blatt Papier. Gib jeder Spalte einen Titel. Ich schlage vor: „Stadt, Land, Fluß, Vorname, Beruf!“. Nun wählst Du durch irgendeinen Zufallsgenerator einen beliebigen Buchstaben und versuchst entsprechend der Spaltenüberschrift Dinge zu finden, die mit diesem Buchstaben anfangen. Anders als beim normalen Spiel, gilt es nun aber nicht nur ein Wort, sondern so viele Wörter wie möglich zu jedem Anfangsbuchstaben zu finden. Dein Partner macht dasselbe.

Vergleicht nach einiger Zeit eure Ergebnisse.

Ihr habt euer Wissen reproduziert – nur gemeinsam!

 

Viele eurer Ergebnisse werden gleich sein, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es einige Ergebnisse gibt, auf die der jeweils andere nicht gekommen ist. Dennoch sind euch diese Begriffe, auf die ihr nicht gekommen seid, nicht fremd. Das bedeutet, dass das Wissen zwar da ist, aber nicht reproduziert werden konnte. Es könnte aber auch sein, dass Dein Partner beispielsweise eine Hauptstadt kennt, von der Du noch nie gehört hast. In beiden Fällen wird das Ergebnis der Gruppenarbeit aber rein numerisch (d.h. in der Anzahl der gefundenen Lösungen) einer Einzelarbeit, bei der Du allein überlegst, überlegen sein.

Richtig interessant wird der Emergenzeffekt aber erst bei den Aufgabenarten, bei denen es darum geht, etwas über oder anhand eines neuen Problems herauszufinden (Analyse) und/oder zu bewerten (Evaluation). Schau Dir dazu zunächst einmal folgende Beispielaufgabe an.

Beispielaufgabe

So könnte eine Aufgabe im Deutsch- oder Englischunterricht aussehen!

Beispielaufgabe

a) Lest den vorgegebenen Arbeitstext z.B. über das Verhalten von Person A und Person B.

b) Vergleicht das Verhalten von Person A mit dem Verhalten von Person B. Erklärt, wieso das Verhältnis der beiden Personen zueinander (beispielsweise) so angespannt ist.

c) Erläutert, inwiefern ihr euch in der gleichen Situation ähnlich oder ganz anders verhalten hättet. Warum? d) Besprecht eure Antworten und präsentiert sie im Anschluss in der Klasse.

Auch hier tritt zunächst der oben beschriebene Effekt ein, nämlich, dass ihr euch in der Reproduktion von bereits vorhandenem Wissen ergänzt: die reine Menge des Wissens der Gruppe ist der Menge des Wissens eines einzelnen überlegen (in unserem Beispiel z.B. die Anzahl passender Adjektive zur Beschreibung der Personen). Viel interessanter ist allerdings, dass durch Austausch und Kommunikation neues Wissen, neue Einstellungen, neue Werte und neue Formen der Auseinandersetzung geschaffen werden. Der Horizont Deines Denkprozesses erweitert sich – Du wirst klüger!

Und Du kannst Dich eigentlich gar nicht dagegen wehren, klüger zu wehren, da Du ständig kommunizierst. Das bedeutet, dass Du Dich (wenngleich vielleicht unbewusst) ständig mit Dingen auseinandersetzt und folglich ständig neues Denken produzierst. Es liegt jedoch an Dir, die Qualität dieser Kommunikation zu bestimmen. Man kann nämlich recht gut beeinflussen, (a) mit wem oder was[1] man (b) wie (c) wie oft und (d) in welcher Form kommuniziert. Toll oder?

[1] etwas vereinfacht formuliert könnte man sagen, dass auch das Lesen eines Buches oder das Schauen eines Youtube-Videos eine Form der Kommunikation ist. Dein Gehirn reagiert ständig auf den Text des Buches oder den Inhalt und die Darstellungsform des Filmes. Es findet also Auseinandersetzung und damit Lernen statt. Die Qualität des Buches oder des Filmes beeinflusst dabei selbstverständlich auch die Qualität des Lernens. 😉

Wir dürfen unseren Kindern nicht beibringen, mit Compu-tern zu konkurrieren (…). Wir müssen ihnen etwas Einzigar-tiges beibringen, so dass es den Maschinen niemals gelingt, uns zu ersetzen: Werte, unabhängiges Denken, Teamwork, Fürsorge.

Wenn Du auf etwas reagierst, d.h. wenn Du kommunizierst, ist Dein Gehirn immer aktiv, indem Du z.B. bereits Bekanntes in eine neue Beziehung setzt, eine Sache aus einem anderen Blickwinkel betrachtest oder vielleicht sogar sicher geglaubtes neu überdenkst und bewertest. Es kann aber auch sein, dass Du in einer Ansicht durch die Kommunikation bestätigt wirst, indem Du ein weiteres (neues!) Argument findest oder ein Dir bekanntes Argument durch eine (für Dich) vertrauenswürdige Quelle wiederholt und bestätigt wird. Auch dann wäre zwar die Einsicht unverändert, die Sicherheit, mit der Du sie vertrittst, wäre aber neu.

 

Kompetenzschulung: Deine „Superkräfte“

Etwas zu lernen bedeutet immer, am Ende eines Prozesses mehr zu können oder zu wissen als am Anfang eines Prozesses. Dabei sollte die Qualität des Ergebnisses höher sein als zu Beginn des Prozesses. Dies ist mit einer gut organisierten Gruppenarbeit immer zwangsläufig gegeben, da Du dich der Kommunikation nicht entziehen kannst und dieses Zusammenwirken mehrerer Faktoren immer zu einer Form der Neustrukturierung oder Ergänzung von Kompetenzen führt. Das klingt vielleicht etwas kompliziert, bedeutet aber nur: durch die Auseinandersetzung mit anderen werden Du und die anderen schlauer, da ihr am Ende der Auseinandersetzung immer ein kleines bisschen mehr könnt oder gedacht habt als davor.

Es ist immer Ziel des schulischen Unterrichts eure Kompetenzen zu verbessern. Es gibt eine Menge Menschen, die darüber streiten welche Kompetenzen das denn sein sollten.

2013 stellte der Bildungsforscher Andreas Schleicher auf der Re:publica das 4K-Modell vor, das zur Zeit bei den Menschen, die sich intensiv mit einer innovativen und zeitgemäßen Gestaltung von Schule beschäftigen, sehr populär ist[1]. Im Mittelpunkt dieses Modells stehen die Kompetenzen, die als zentral für das 21. Jahrhundert betrachtet werden. Es geht also um Dich und Deine Zukunft bzw. das, was an Kompetenzen für Deine Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach von zentraler Wichtigkeit ist.

Immer mehr Arbeiten werden von Maschinen übernommen. Jede neue Arbeit verlangt mehr komplexes Denken, situierte selbstverantwortliche Entscheidungen und Beziehungsfähigkeit. Die zu lösenden gesellschaftlichen Probleme sind so komplex, dass sie nur noch mit kollektiver Intelligenz bearbeitbar sind.

Es kommen also eine Menge ziemlich komplexer Probleme in einer zunehmend digitalisierten Welt auf euch zu. Das, was du schon so oft geahnt hast, gebe ich dir hier schriftlich: Klassischer Unterricht mit klassischen Inhalten (so, wie er schon vor 100 Jahren betrieben wurde) bereitet dich kaum auf eine Zukunft im 21. Jahrhundert vor.

Zwar kannst du nichts an deinem Unterricht ändern. Aber in den nächsten Tagen kannst du selbst die Fähigkeiten lernen, die du für zukünftige Teamarbeit benötigst. Es kann nicht darum gehen, Wissen auswendig zu lernen, damit man es in einem Test oder einer Klausur einfach abfragen kann. Das können Computer viel besser. Warum also mit ihnen konkurrieren?

Das 4K-Modell stellt andere Fähigkeiten in den Vordergrund. Und Gruppen- oder Teamarbeit ist ein ausgezeichnetes Werkzeug diese Kompetenzen zu erwerben und zu verfeinern.

Kollaboration

Der Begriff Teamarbeit impliziert das Arbeiten in einer Gruppe. Die Mitglieder dieser Gruppe können homogen, aber auch sehr heterogen (unterschiedlich) sein. So erzielt man z.B. selbst in hochdotierten internationalen ThinkTanks die besten Ergebnisse in sogenannten multiprofessionellen Arbeitsgruppen, d.h. Arbeitsgruppen, die aus ganz unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Kenntnissen bestehen.

Kreativität

Ein anderer wichtiger Punkt, der in den Bereich der Kreativität fällt, ist aber auch die Idee des "Thinking outside the box". Damit bezeichnet man den Ansatz, bei einer Problemlösung die bekannten Pfade zu ver-lassen (z.B. mittel Brainstormin) und völlig frei - auch zunächst völlig verrückte Ansätze - zu verfolgen, um so zu kreativen Problemlösungen zu gelangen. Selbstverständlich benötigst Du auch eine gewisse Porti-on Kreativität bei der Erstellung einer überzeugenden Präsentation Deiner Arbeit.

Kritisches Denken

Mit etwas Übung wird es euch zunehmend gelingen (selbst)kritisch aber konstruktiv miteinander bzw. mit euren Ideen umzugehen. Etwas verkürzt definiert bedeutet dies die Bereitschaft, die Aussagen anderer aber auch die eigenen Ideen in wertschätzender Form zu hinterfragen, zu überprüfen (verifizieren und falsifizieren) und in verschiedenen Kontexten zu betrachten. Vereinfacht gesagt wird es zunehmend schwieriger, euch zu überrumpeln und zu manipulieren. Ihr beginnt wissenschaftlich zu denken und zu arbeiten.

Kommunikation

In Gruppenarbeit geschieht immer ein Austausch. Also übt ihr, mitei-nander zu kommunizieren und zu lernen. Beides werdet ihr ein Leben lang tun müssen. Ihr werdet darauf achten, von anderen richtig ver-standen zu werden und selbst den jeweils anderen zu verstehen. Dies kann nur funktionieren, wenn gewisse, funktionale Grundregeln der Kommunikation in angenehm empfunden Rahmenbedingungen ein-gehalten werden.

In den folgenden Kapiteln wirst Du erfahren, mit welchen Techniken und Methoden man sowohl analog als auch digital eine Gruppenarbeit effektiv steuern, strukturieren und durchführen kann. Ich werde Dir einige konkrete Beispiele nennen, die Du sofort in die Praxis umsetzen kannst. Anschließend hast Du die Möglichkeit, die vorgestellten Techniken und Methoden für Dich und Deine Bedürfnisse zu bewerten.

Selbstverständlich findest Du hier nur eine begrenzte Auswahl an Programmen. Ich habe versucht, mich auf gut funktionierende Beispiele zu konzentrieren, die ich auch selbst einsetze oder eingesetzt habe. Die meisten der Programme sind kostenfrei oder zumindest für eine Zeit lang als Testversion zu haben. Bei einige Programmen muss man sich für deren Anwendung registrieren. Es ist Dir überlassen, ob Du mit solchen Programmen arbeiten möchtest. Ich empfehle Dir nur sehr, Dich nach Möglichkeit im Vorfeld über Datenschutz und -missbrauch zu informieren.

Übersicht Schritt 5:

Im Team mehr erreichen

Zweites Thema

Miteinander sprechen (Kommunikation)